Kopfgelenktherapie nach Picard
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Kopfgelenktherapie des Schleudertraumas

Ansicht von oben auf Modell von Atlas und Axis (Bild links) so zusammengestellt, wie es in der Computertomografie (Bild rechts) gefunden wurde: Chronischer Schiefhals eines 10jährigen Kindes. Unten: Axis, oben: Atlas. Der Atlas ist linksseitig gegenüber dem Axis nach dorsal gerichtet. Im Atlantoaxialgelenk besteht eine Rotation des Kopfes nach links von ca. 20°. Der Zustand des nach hinten links versetzten Atlas ist wohl durch den über die querlaufenden kurzen Nackenmuskeln vermittelten Zug des gezerrten linken hinteren Digastricus-Muskelbauches bewirkt.

Das Schleudertrauma oder auch das HWS-Beschleunigungstrauma besteht in einer Zerrung des linken hinteren Digastricus-Muskelbauches, so dass jener sich dauerhaft verlängert, seine ursprüngliche Position am äußeren Ende des hinteren Atlasbogens verlässt und sich weiter innen auf dem unteren querlaufenden kurzen Nackenmuskel (Musculus obliquus capitis inferior) einnistet. Die Verstrickung beider Muskeln (Digastricus und kurzer Nackenmuskel) verursacht einen erhöhten Zug auf die Kopfgelenke und legt den Atlas gegenüber dem Axis schräg. Es kommt bei Unfällen mit Kopfbeteiligung vor, dass der linke Atlasfortsatz sich gegenüber dem Axis extrem nach dorsal versetzt (siehe Abbildung). Die junge Frau aus der zitierten Arbeit hielt deswegen ihren Kopf nach dem Unfall stark nach links gewendet. Wegen dem über die querlaufenden kurzen Nackenmuskeln (Musculi obliquii capitis superior et inferior) vermittelten Zug am Atlas und der daraus resultierenden Schrägstellung des Atlas gegenüber dem Axis entsteht auch eine kontinuierliche Dehnung der linken und rechten Wirbelarterie. Dehnung und Verlängerung eines weichen Schlauches vermindert den Durchsatz: Fortan lösen die Stellung des Kopfes - der Blick nach oben oder unten - oder Drehungen - der plötzliche Ruck - basiläre Minderdurchblutung aus. Je schneller und extremer der Kopf bewegt wird, desto eher tritt Benommenheit aufgrund von Wirbelarteriendehnung und der damit zusammen hängenden Perfusionsstörung auf. Nicht zuletzt beruhen Tinnitus und Hörstürze, Schwindel, vermutlich aber auch anhaltende Schlafstörungen zum Teil auf der Kopfgelenkasymmetrie bedingten Wirbelarterien-Duchblutungsminderung (basiläre Ischämie).

Wenn der Zustand sehr lange anhält, kommt es zu einem Ungleichgewicht zwischen linker und rechter Muskulatur: Die linke kurze Nackenmuskulatur liegt gleichsam wie in einem Gipsbett und verkümmert, die rechte verkrampft sich. Dieser Zustand dekliniert sich den ganzen Rücken herunter: So kann es zu Nackensteifigkeit und auch zu Mißempfindungen in den Armen kommen, weil der Plexus brachialis im Bereich der Skalenuslücke Druck erfährt. Die verwringungs- und durchblutungsbedingten Möglichkeiten, langfristig unter der Zerrung des linken hinteren Digastricus-Muskelbauches zu leiden, sind damit noch lange nicht ausgeschöpft. Es können - gleichzeitig! - folgende Symptome auftreten:

  • Sehstörungen (Flimmern, Blitze, Kästchen)
  • Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit, Orientierungslosigkeit
  • Gefühl nicht richtig da, anwesend zu sein, neben einem stehend
  • Gleichgewichtsstörung, Gangunsicherheit, taube Beine
  • chronische Ohrenschmerzen, Ohrendruck, Tinnitus, Hörminderung, Hörverlust
  • Kiefergelenkschmerzen, Missempfindungen im Gesicht, Kribbeln
  • Nackenschmerzen, Schulterschmerzen, Rückenschmerzen, tauber Rücken
  • Muskelzucken, Muskelzittern, Herzrasen
  • Taubheitsgefühl der Hände und Füße incl. Einschlafen derselben, Ameisenlaufen
  • Kribbeln, Mißemfindungen am ganzer Körper
  • Schlafstörungen

Letzteres ist die authentische, leicht redigierte Aufzählung eines Patienten mit chronischem Schleudertrauma oder vielmehr dem generalisierten 'Kopfgelenkasymmetrie-Syndrom'. Letzteres besteht aus einer Vielzahl von Symptomen, die in Unkenntnis der Kopfgelenkasymmetrie nur schwer zusammen gesehen werden könnten. Die o.g. Symptomvielfalt bekommt einen gemeinsamen Nenner und Therapierbarkeit: Die linksseitig durch das Schleudertrauma langfristig gedehnte kurze Nackenmuskulatur braucht nach der Umlagerung des linken hinteren Digastricus-Muskelbauches eine gewisse Zeit, um den Tonus zu erreichen, der die Durchblutung über die Wirbelarterien langfristig sichert. Die Tonusangleichung zwischen links und rechts verläuft selbsttätig, kann und sollte aber beim Erwachsenen durch vibratorische Muskelumstimmung angeschoben und gefördert werden.


(1) Eine junge Patientin (* 1992) mit schwerster Beschleunigungsverletzung berichtete nach Therapie (23.3.2010), sie habe das Gefühl, dass ihr Zustand sich 'ein bisschen' gebessert habe.

Ich habe das Gefühl, dass der Kopf leichter geworden ist, dass der Kopf auch leichter dreht und dass es im allgemeinen ein bisschen besser geworden ist.

Einen Monat später kam von der Mutter die lakonische, aber sehr bestimmte Meldung, dass ihre Tochter 'gesund' sei. In der Tat löste sich die enorme Vitalitätsminderung, die Anlass zu größter Besorgnis gewesen war, im Laufe der Monate in Wohlgefallen auf. Folglich war die Umlagerung des linken hinteren Digastricus-Muskels der wesentliche Therapieschritt gewesen.


(2) Eine Patientin (* 1968), die bereits mehrere Jahre lang stark unter den Auswirkungen einer 2008 erfolgten Beschleunigungsverletzung gelitten hatte, wurde am 11.3.2010 behandelt. Anamnestisch wurde folgendes notiert:

Beschleunigungsverletzung in 2008, Vorwölbungen C2-C3, C3-C4, L5-S1, ISG-SChmerz, Beinlängenunterschied, ISG beidseits entzündet. Jetzt fühle es sich 'wie ein Tens-Gerät' im oberen HWS-Bereich an, im unteren HWS-Bereich 'stechende Schmerzen' --> Schmerztherapie, Opiate-Pflaster, Lyrica, früher Amytriptillin. Schmerzen sind chronisch, außer in der Nacht, sehr müde (Pat.: "Ich würde Batterie auf Null bezeichnen.")

Ersichtlich ist, dass die Beschleunigungsverletzung eine HWS-Kyphose, Kopf- und Schultervorhaltung und starke Schmerzen im unteren HWS-Bereich im Gefolge gehabt hatte. Dies bedeutet, dass die Schrägstellung in den Kopfgelenken aufgrund des erhöhten Digastricus-Druckes eine verstärkte Verwringung in allen Wirbelsäulenabschnitten und Druck auf austretende Nervenbahnen hervorgerufen hatte. Die Entzündung der Facettengelenke des Kreuzbeins stellt den besonders schmerzhaften Schlusspunkt dieser Entwicklung dar. 

Ihren Zustand nach erfolgter Kopfgelenktherapie kommentierte die Patientin folgendermaßen: 

Ich fühl mich einfach klasse, ich kann meine Schultern nicht mehr sehen, die sind ganz weit dahinten, wo sie sonst ganz weit vorne waren. Ja, ich fühl mich weich und warm, und.. . einfach ein tolles Gefühl.

Die Patientin war darüber besonders erstaunt, dass die Schultervorhaltung aufgehoben war. Sie verspüre den verstärkten Blutfluss zur Hals-Nacken-Region als wärmend und sehr angenehm. Bei einem weiteren Termin am 23.3.2010 verlautbarte sie folgendes: 

In den letzten zwei Wochen hat sich unheimlich viel verändert: Ich bin aufrechter geworden, meine Schultern sind ganz weit hinten. Ich habe keine Schmerzen mehr im oberen Schulterbereich, das ist wie so ein kühlendes, befreiendes Gefühl. Ja, die ganze Wirbelsäule ist in Gang gekommen, besonders im Iliosakralgelenk, und ich hoffe, dass ich da die nächsten paar Monate noch Erleichterung erfahren werde, aber ansonsten geht's mir prima.

Die Patientin berichtet von einer Befreiung von Schmerzen im oberen Wirbelsäulenabschnitt und dass die Auflösung der Schultervorhaltung dauerhaft war. Im unteren Wirbelsäulenabschnitt verspüre sie aber noch Schmerzen. Dennoch sei sie positiv gestimmt und hoffe, dass sich die schmerzhaften Situationen im Lauf der Zeit ebenfalls zurückentwickeln werden. Folglich war es bei dieser Patientin indiziert, die Umlagerung des linken hinteren Digastricus-Muskelbauches vorzunehmen, weil damit die Beschleunigungsverletzung aufgelöst und ein langfristiger Gesundungsprozess in Gang gebracht worden ist. 

Schriftliche Spontanäusserung nach Therapie: "Das glaube ich nicht: warm + weich, ich sehe meine Schultern nicht mehr."

(3) Ein Patient (* 1955), der wahrscheinlich mehrere Jahrzehnte lang stark unter den Auswirkungen eines in der Jugendzeit passierten, schweren Fahrradunfalls gelitten hatte, wurde am 1.7.2010 behandelt. Anamnestisch wurde folgendes notiert:

Seit Jahren Hörminderung, wechselnd, li schlechter. Vor 2 Tagen nachts plötzl. Ohrgeräusch li (tiefes Brummen) für einige Stunden, dann auch Geräusch rechtsseitig intermittierend. (...) Hohe Myopie (Kontaktlinsen) Fast ständig Verspanungen HWS/Nacken, gel. auch LWS-Probleme. Kein Kopfschmerz. Fahrradsturz in Jugend --> Septumplastik.

Vermutlich hat die Beschleunigungsverletzung in der Jugend (Fahrradsturz), die sogar einen operativen Eingriff an der Nasenscheidewand erforderlich gemacht hatte, langfristig zur Hörminderung geführt, weil die Durchblutungsverhältnisse aufgrund der extremen Schräglage der Kopfgelenke gemindert waren (latente basiläre Ischämie). Der Patient vernahm nach der Therapie verstärkt innere Ohrgeräusche (“Seit gestern dröhnendes, halliges Geräusch.”), der einen Termin am folgenden Tag erforderlich machte.  Dieses Symptom ist am selben Tag aber zurück gegangen und es fand ein kontinuierlicher Rückgang der Symptomatik statt. 

Interpretation: Das starke Geräusch kurz nach Therapie weist auf die geschwächte Kurze Nackenmuskulatur hin, die den erforderlichen Lymph- und Blutdurchsatz zunächst nicht halten konnte. Dass die Symptome dann aber weg blieben, weist auf die symmetrische und sich allmählich erstarkende kurze Nackenmuskulatur hin. Langfristige Auswirkungen von Beschleunigungsverletzungen drücken sich wahrscheinlich häufiger als vermutet in Hörminderungen aus, aber der Ursache-Wirkung-Zusammenhang bleibt leider spekulativ.


(4) Dass die Hörminderungen nach einer Beschleunigungsverletzung sich bereits in jungen Jahren in dramatischer Weise herausbilden können, weist folgender Fall auf: Ein schmächtiger junger Mann (* 1990), hatte, wie er auf Befragen hin berichtete, wiederholt schwere Kopftraumata im Zuge von Ringkämpfen erlitten. Anamnestisch wurde am 16.6.2010 folgendes notiert:

Vor zehn Monaten Tinnitus, Vestibularisausfall links, später auch rechts, dann rechts fast taub, dann links. Hörstürze, die sich nicht erholt haben. Seither ist es wöchentlich schlechter geworden. Keine Erklärungen für den Vorgang, psychische Komponente (?). HBOT-Therapie hat etwas gebracht, aber nur kurzfristig. Depression. Anisokurie. Kieferknacken links beim Seitwärtsbewegen und beim Zubeißen, keine Kieferschmerzen, war Ringkämpfer. 

Vermutlich haben die Ringkämpfe zu einer sehr schrägen Lage der Kopfgelenke beigetragen, der linke hintere Digastricus-Muskelbauch wurde wahrscheinlich wiederholt gezerrt und immer weiter nach innen versetzt, so dass die bewegungsabhängige Duchblutungsminderung über die Vertebralarterien sehr verstärkt wurde. Tinnitus, Ausfall des Gleichgewichtssinnes, Hörstürze, Taubheit sind wahrscheinlich Anzeichen dafür, dass die basiläre Ischämie zu stark geworden war. Dauerhafte Schädigungen des Hör- und Gleichgewichtssinnes können unter diesen Umständen eintreten.  Kopfgelenkasymmetrie bedingte Gehörlosigkeit könnte wohl vermieden werden, wenn der Zusammenhang von Schleudertrauma und basilärer Ischämie ausreichend bekannt wäre.


(5) Patient (* 1984) wurden am 13.2.2008 behandelt. Anamnestisch wurde folgendes fest gehalten: 

Schon 'immer': Übelkeit, Probleme beim Lesen. Seit dem 17. Lebensjahr (2001) Verschlimmerung der Symptomatik vor allem: Übelkeit, schleichende Steigerung von Augenbrennen, Unfähigkeit längere Texte zu lesen, Benommenheit, Schlafstörung (max. 4 Stunden durchschlafen, dann mehrere Stunden wach, nochmal einschlafen dringend notwendig). Tinnitus (lautes Piepen) bei bestimmten Kopfbewegungen. Bekannt: Saugglockengeburt, Ellenbogenfraktur li. mit 6 Jahren nach Sturz aus dem Balkon aus 3 m Höhe. Schiefhaltung des Kopfes nach rechts. Körpergröße: 196 cm. Mittels bildgebendem Verfahren wurde ein Kompression des Rückenmarks unter Rotation festgestellt.  Ist seit Schulabschluß seit 3 Jahren arbeitsunfähig. 

Der Patient wies demnach folgende Symptomatik auf, die wohl bei der Geburt eingeleitet und beim Sturz aus dem Balkon als Kind festgeschrieben wurde :

  • Kopf still zu halten, um Lesen zu können, ist nur kurzzeitig möglich,
  • lymphatische Versorgung der Augen unzureichend (Augenbrennen),
  • massive Durchschlafstörung weist auf mangelnde trophische Versorgung des Schlafzentrums hin,
  • bewegungsabhängiger Tinnitus ist wahrscheinlich Kopfgelenkasymmetrie bedingt,
  • Schiefhaltung des Kopfes nach rechts als orthopädische Folge der Kopfgelenkasymmetrie.

Die Symptomatik lässt sich vor dem Hintergrund der in der Kindheit unfallbedingt extrem verschlimmerten  Kopfgelenkasymmetrie verstehen: Es bestand zeitlebens eine massive Störung der lymphatischen und  durchblutungsmäßigen Versorgung über die Wirbelarterien (siehe auch: Blutversorgung des Gehirns). Die einzelnen Symptome lassen sich als Folge jener Minderversorgung lesen. 


Drehung (erster Wert) mit Beugung (dritter Wert) in Extremrotation vor (oben) und nach (unten) Therapie. Der mittlere Wert bezeichnet die Seitneigung unter Extremrotation.

Bei der Behandlung war auffällig, dass der Patient in horizontaler Extremrotation (li 72°, re 58°) nach beiden Richtungen hin eine überdurchschnittliche Beugung aufwies (links 28°, rechts 20° Grad). Der Kopf wippte bei der Drehung mehrmalig und und vor allem nach rechts ziehend in auffälliger Weise. Dies weist auf eine ungleichmäßige Belastung der ligamentären Strukturen (u.a. Flügelbänder) hin. Nach der Digastricus-Muskelumlagerung fand eine Erweiterung der Drehung (li 80°, re 70°) statt und es reduzierte sich die Beugung in Extremrotation (li 28°, re 20° --> li 12°, re 15°) sowie die Seitneigung in Extremtrotation (re 10° --> re 0°) bedeutsam. Dies bedeutet, dass die Schrägstellung des Atlas gegenüber dem Axis aufgehört hatte und ein symmetrischer Zustand erreicht worden war; die o.g. ligamentären Strukturen werden im symmetrischen Zustand weniger belastet. Der Patient bestätigte die Änderung schriftlich: 

Kein Schleim mehr in der Gurgel, Atmen fällt leichter, Kopfbewegungen leichter. 

Beim Nachfolgetermin am 24.6.2008 wurde folgendes notiert:

Zwischenzeitlich keine wesentliche Änderung. Im Vordergrund: Benommenheit, Augenbrennen, Durchschlafstörungen (Bettzeit 10-11 h; wenn nur 4 Std. Schlaf --> Gesichtsfeldausfälle). Knirschen beim Kopfdrehen, endgradiger Schmerz.  - Das Ohrpiepen bewegungsabhängig, evt. etwas weniger. 

Die Katamnese zeigt, dass die Digastricus-Muskelumlagerung in so einem langwierigen Fall nicht direkt in die Beschwerdefreiheit führt. Vielmehr ist sehr viel Geduld und kopfgelenktherapeutische Betreuung notwendig, bis sich die physiolgischen Verhältnisse normalisiert haben. 


(6) Patient (* 1977) wurde am 17.2.11 behandelt. Anamnestisch wurde folgendes notiert:

1998 Frontal-Autounfall mit Verletzung der linken Kopfseite. Seit 4 Jahren zunehmende Nackenschmerzen, dann zusätzlich Kopfschmerzen, meist beidseitig, oft 3 Tage anhaltend, verstärkt unter Stress, dann nur wenige Tage schmerzfrei. Pulsierender Schmerz, bei Kopfschmerz auffällige Gesichtsblässe. Starke Schmerzmittel. Bei Schmerz kann Pat. die Augen nicht richtig schließen wegen Schmerz im Augenbereich. Schmerzaufbau mit Spannungs-Druckgefühl, später dann Pulsieren. Entlastungsgefühl durch Kopfvorhaltung. Beim Nach-oben-Gucken unangenehmes Gefühl, Schmerzauslösung.

Der schwere Unfall im Alter von 21 Jahre schien zunächst lange keine langfristigen Folgen aufzuweisen. Erst im Alter von 30 Jahren war die kurze Nackenmuskulatur zunehmend nicht mehr in der Lage, die unfallbedingte Zerrung des linken hinteren Digastricus-Muskelbauches zu kompensieren: Es stellten sich anhaltende Nacken- und Kopfschmerzen ein (Verwringungskomponente), die von einem pulsierenden Schmerz (Perfusionsstörung) begleitet waren. Der Leidensdruck ist sehr hoch; die beschwerdefreien Zeiten kurz. Dass arterielles Blut nur schwer durch die stark verwrungenen Kopfgelenke (C1/C2) hochkommt, erweist sich durch die während des Kopfschmerzes auffällige Gesichtsblässe. Den Kopf nach vorne gebeugt zu halten, bewirke in diesen Zeiten eine Milderung des Pulsierens, hingegen löse der Blick nach oben Kopfschmerz aus. Es ist anzunehmen, dass die Streckung bei bestehender Kopfgelenkasymmetrie durchblutungsmindernd, die Beugung eher durchblutungsfördernd wirkt .

Beim zweiten Termin am 24.2.11 wurde folgendes festgehalten:

Am Behandlungstag nochmal ziemlich starke Kopf- und Hals-/Nackenschmerzen, seither kein Kopfschmerz mehr, allerdings Schmerzen im Hals-Nackenbereich.

Drehwinkelmessungen vor und nach Kopfgelenktherapie: Erste Spalte: horizontale Drehung (L, R), zweite Spalte: Seitneigung (SL, SR), dritte Spalte: Beugung/Streckung (B/S). Erste Zeile: vor Digastricus-Muskelumlagerung, zweite Zeile: nach Muskelumlagerung, dritte Zeile: nach vibratorischer Massage, vierte Zeile: zweiter Termin.
  • Die Drehung nimmt nach Therapie insgesamt um 10% zu; die Drehung nach links nimmt um 2,5% ab, wohingegen die Drehung nach rechts um 23,5% zunimmt. Der L/R-Quotient beträgt vor Therapie 1,45 (d.i. Rechtseinschränkung der horizontalen Drehung), nach Therapie 1,08 (Symmetrisierung derselben)
  • Die Seitneigung nimmt nach Therapie insgesamt um 5,5% zu, aber die Linksseitneigung nimmt um 13,5% zu, wohingegen die Rechtsseitneigung um 2% abnimmt. Der SL/SR-Quotient beträgt vor Therapie 0,84 (d.i. Linksseinschränkung der Seitneigung), nach Therapie 1,00 (Symmetrisierung derselben).
  • Die Beugung nimmt nach Therapie um 14% ab, die Streckung um 24%.

Die Drehwinkelmessungen des Kopfes ergaben eine starke, für die verschlimmerte Kopfgelenkasymmetrie typische Rechtseinschränkung der horizontalen Drehung und eine Linkseinschränkung der Seitneigung. Beides hob sich nach Therapie auf: Es entstand eine über die Zeit hinweg symmetrische und erweiterte horizontale Drehung und Seitneigung. Desweiteren änderte sich aufgrund der Digastricus-Muskelumlagerung die starke Beugung in Extremrotation (der dritte Wert hinter der horizontalen Drehung) in die neutrale Stellung: Der Kopf fällt nach Therapie bei der Drehung nicht mehr nach vorne. Die Kopfbeweglichkeit geht von einer einseitigen Einschränkung in Symmetrie und Erweiterung der Drehwinkel über: Dies sind Indikatoren dafür, dass die Kopfgelenke und ihre umgebende Muskulatur, einmal vom Digastricus-Muskeldruck befreit, qualitativ anders funktionieren. Die Symmetrie und Erweiterung der Drehwinkelwerte zeigt sich beim zweiten Termin erneut, was in diesem Fall die Dauerhaftigkeit des vorteilhaften Zustands über die Zeit hinweg erweist.

Nach einer Umstellungsphase war durch die Digastricus-Muskelumlagerung der Grund für die o.g. Symptomatik weggefallen. Was übrig blieb, war das Erfordernis einer muskulären Anpassung an die neue, symmetrischere Körperhaltung. Dies weist auf die unmittelbare Wirksamkeit der Kopfgelenktherapie bei diesem langfristig bestehenden Schleudertrauma hin. 


(7) Zum Abschluss sei noch folgendes Ereignis berichtet:

Ein kleiner Junge von ca. 7 Jahren war im Kindergarten gegen Ende der Betreuungszeit vom Klettergerüst gefallen (Nov. 2011 ), klagte über starke Schmerzen und konnte den Kopf nicht mehr bewegen. Die Palpation ergab eine Zerrung des Digastricus. Nach Therapie, die gleich nach dem Sturz erfolgte, empfand das Kind Erleichterung und ging wieder spielen. Bei einer Nachprüfung der Stellung der Kopfgelenke eine Woche später konnte die Symmetrie derselben und das Wohlbefinden bestätigt werden.

Dies bedeutet, dass ein schwerer Sturz folgenlos bleiben kann, wenn ein Kind in zeitlicher Nähe zum Sturz kopfgelenktherapiert wird.


Bei einem Unfall mit Kopfbeteiligung findet eine Vitalitätsminderung statt, die auf dem der Kopfgelenkasymmetrie eigenen Verwringungsimpuls und der basilären Durchblutungsminderung beruht. Der Verwringungsimpuls ist zu Beginn auf den Kopf-Hals-Bereich begrenzt und setzt sich später entlang des Achsenskeletts nach oben (Unterkiefer, Kopf) und unten (Wirbelsäule) fort; die Durchblutungsminderung durch Dehnung von Wirbelarterien hat sofort negative Auswirkungen auf die Gesamtbefindlichkeit. Nachdem der Kopfunfall gegebenenfalls durch Stilllegung (Tragen einer Halskrause) therapiert wurde, normalisiert sich die physiologische Situation um einiges, aber die unterschwellige Vitalitätseinschränkung durch die weiterhin bestehende, verschlimmerte Kopfgelenkasymmetrie setzt sich unter Umständen ein Leben lang fort. Die Zerrung kann sich aufgrund ihres verlängerten Verlaufs um die Kopfgelenke nie ganz zurückbilden. Stets bleibt der linke hintere Digastricus-Muskelbauch gedehnt oder vielmehr verlängert und versetzt in verstärktem Maße die oberen (Atlas, Kopf) gegenüber den unteren Strukturen (Axis, untere Halswirbelsäule). Erst die Muskelumlagerung vor die Kopfgelenke ermöglicht eine Genesung von der Verwringung und der Durchblutungsminderung auf der Grundlage der seitengleichen Digastricus-Muskelführung und Symmetrisierung des Achsenskeletts. Der nunmehr vor den Kopfgelenken verlaufende linke hintere Digastricus-Muskelbauch hat fortan die Möglichkeit, sich zu verkürzen und anzupassen. Schwer und langfristig von Schleudertraumata betroffene Patienten können in jedem Alter durch die Digastricus-Muskelumlagerung Erleichterung erfahren. Der Genesungsprozess und seine Dauer hängen von

  • der Schwere der Zerrung des linken hinteren Digastricus-Muskelbauches,
  • von der Dauer der Zerrung,
  • und vom Lebensalter ab.

In der Folge wird die oben beschriebene Kasuistik zusammengefasst, um die Auswirkung der Schwere und Dauer der Zerrung sowie des Lebensalters (s.o.) auf die Remission zu veranschaulichen:

  1. Die schwer betroffene, junge Patientin hatte Erleichterung erfahren, sobald die Muskelumlagerung erfolgt war und genas im Lauf der folgenden Monate.
  2. Die zum Zeitpunkt der Behandlung 42jährige Frau, die zwei Jahre an einer Beschleunigungsverletzung stark gelitten hatte, war über die sofortige Aufhebung der Schultervorhaltung und verstärkte Durchblutung im Kopf-Hals-Bereich hoch erfreut und genas allmählich.
  3. Der 55jährige Patient, der seit Jahren unter Hörminderung gelitten hatte, - vermutlich wegen der seit der Jugend unfallbedingt bestehenden basilären Durchblutungsminderung - hatte einen Tag nach Therapie ein Krise, die sich im Laufe des Tages aber beruhigte.
  4. Ein junger Mann von 20 Jahren hatte sich im Zuge von Ringkämpfen die Kopfgelenke so sehr gezerrt, dass Hörstürze sich nicht erholten, sondern in zunehmende Taubheit mündeten.
  5. Ein 24jähriger Mann war als Kind vom Balkon gestürzt. In der Folge entwickelten sich Symptome, die sich als langfristige Minderversorgung über die Wirbelarterien verstehen lassen und ihn arbeitsunfähig werden ließen.
  6. Der junge Mann, der einen schweren Unfall erlebt hatte, hatte ein Jahrzehnt später starke Kopfschmerzen. Durch die Therapie waren die Voraussetzungen für eine Genesung geschaffen.
  7. Das Kind, das gleich nach einem Sturz kopfgelenktherapiert wurde, war mit dem Schrecken davon gekommen und zeigte keinerlei Einschränkungen.

So genas die schwer betroffene junge Frau (1) problemlos, der vom Alter her vergleichbare junge Mann (4) aufgrund von sehr starken Digastricus-Zerrungen leider nicht. Wenn die Digastricus-Muskelzerrung in die Kindheit (5) oder Jugend (3) zurückreicht und bis in das Erwachsenenalter unbehandelt bleibt, muss man sich auf langandauernde und wechselhafte Genesungsprozesse einstellen. Am besten ist es, wenn die Muskelumlagerung nicht allzu lange nach (6) oder gleich nach dem Unfall vorgenommen wird (7), dann können sich keine Symptome aufbauen.

Kaum jemandem gelingt es, das Erwachsenenalter zu erreichen, ohne Unfälle mit Kopfbeteiligung zu erleben. Erinnerlich sind dann meistens Begleitumstände und andere Läsionen (z.B. Gehirnerschütterungen, Knochenbrüche), die langfristige Läsion der Kopfgelenke wird nicht erkannt: Der sogenannte Storchenbiss, der ein aus einer Digastricus-Zerrung resultierendes Hämatom unter der Geburt sein könnte, die Zangen-/Saugglockengeburt, Stürze vom Wickeltisch und aus dem Kinderbett sind nur der Anfang einer langen Reihe von Unfällen mit Kopfbeteiligung: Freizeitunfälle (Schlittschuh-, Snowboard-, Ski-, Skateboard-, Fahrradunfälle) können bei Jugendlichen und Erwachsenen die Kopfgelenkasymmetrie verschlimmern; dies können ebenso Installationen in Vergnügungsparks (Autoscooter, Achterbahn, u.a.). Als Erwachsener erliegt man relativ häufig Verkehrsunfällen (Auto-, Motorradunfälle, u.a.). Aber auch im häuslichen und außerhäuslichen Bereich gibt es Möglichkeiten, ein Schleudertrauma zu bekommen (Treppensturz, Sturz vom Baum oder vom Dach), ganz abgesehen von Stürzen, die bei der Arbeit passieren können (z.B. vom Baugerüst); es kann auch passieren, dass Gegenstände unerwartet den Kopf anstoßen (u.a. Türen, Bälle). Sportliche Betätigungen sind ebenfalls Quelle von Digastricus-Zerrungen, insbesondere Rugby- und Fußballspielen. Pferdestürze dürfen nicht unerwähnt bleiben. Schließlich sind Operationen kritisch, weil die kurze Nackenmuskulatur während der Narkose sehr weich wird und das passive Bewegen des Kopfes gegenüber dem Rumpf die Kopfgelenkasymmetrie verschlimmert - was auch im Wachzustand bei ruckartiger Manipulation des Kopfes im Sitzen oder Liegen passieren kann. Immer dann wenn der Kopf gegenüber dem Rumpf fremdbestimmt bewegt wird, ändert sich die Stellung des linken hinteren Digastricus-Muskelbauches gegenüber der kurzen Nackenmuskulatur nachteilig, verstärken sich der Verwringungsimpuls und die Durchblutungsminderung am Kopf-Hals-Übergang. Es sollte ein Bewusstsein für die Allgegenwart des Phänomens der Digastricus-Muskelzerrung, von seinen langfristigen Auswirkungen und seiner Therapierbarkeit entwickelt werden.