Eine häufiger bei Frauen auftretende Kopfschmerzart ist die Paroxysmale Hemicranie (IHS-Klassifikation). Die Attacken sind sehr kurz, das Geschehen läuft schnell ab und äußert sich in einseitigen, anfallsartigen Kopfschmerzen, die mittels Indometacin, einem starken Schmerzmittel, eingedämmt werden können. Aus kopfgelenktherapeutischer Sicht handelt es sich vermutlich um ein rechtsseitig intermittierendes Krampfgeschehen im Bereich des Musculus semispinalis capitis, bei dem sensible Äste des Nervus occipitalis major, die diesen Muskel durchkreuzen, durch Druck gereizt werden. Die verschlimmerte Kopfgelenkasymmetrie bewirkt ein linksseitige Dehnung der Nackenmuskulatur und auf der rechten Seite reaktiv eine Verkrampfung derselben, so dass jene Nervenbahnen komprimiert werden. Die Schmerzen ziehen vom Nacken halbkreisförmig bis in das Auge.
Therapeutisch muss die Kopfgelenkasymmetrie aufgehoben werden, um das rechtsseitige Krampfgeschehen zu unterbinden. Die folgenden Kasuistiken erläutern dies:
(1) Anamnestisch wurde bei einer Patientin (*1969) 16.8.09 folgendes notiert:
Seit ca. 10 Jahren Kopfschmerzen, immer re, leicht fast immer, stark 1-4x/Monat, morgens beim Aufstehen, immer um 2 Uhr nachts, läuft dann umher, pochend occipital, wie verstopft, zieht dann nach vorn bis zum Auge, stechend (wie Nadeln, manchmal wie Messer), manchmal tränt das Auge + läuft die Nase, Auge wird auch rot, Dauer 1-2 Tage. (...) Teilw. mit Übelkeit, Erbrechen, Schwindel. Manchmal innerhalb von 2 Tagen Serie von besonders heftigen Attacken. Ist dann total erschöpft.
Wenn nach dem ersten Tiefschlaf die kurze Nackenmuskulatur an Tonus verloren hat und der linke hintere Digastricus-Muskelbauch aber aktiver als die umgebende Muskulatur bleibt, wird der Atlas minimal schräger gelegt. Die rechte Suboccipitalmuskulatur wird deswegen sehr hart und die o.g. Nerven geraten also immer zur selben Zeit unter Druck ('immer um 2 Uhr nachts'). Es entsteht dann der stechende Schmerz in das Auge hinein, weil sensible Nerven, die die Kopfmuskulatur versorgen, beim Durchgang durch den Musculus semispinalis capitis komprimiert werden und diese Reizung sich entlang der Nervenbahnen ausbreitet ('zieht dann nach vorn bis zum Auge, stechend wie Nadeln'). Bei einem Nachfolgetermin ca. drei Wochen nach Therapie verlautbarte die Patientin:
Ich hatte Kopfschmerzen, sehr starke Kopfschmerzen in der Nacht; und wo ich hab' mit dieser Therapie angefangen, - und, das war wirklich stark - und jetzt geht's mir gut!
(2) Eine Patientin (* 1970) wurde am 19.6.2010 behandelt. Sie schilderte den Kopfschmerz lebhaft und sehr genau:
Bei mir fängt das an der Schulter an (weist auf die rechte Schulter), ich merk das einfach, und es kann manchmal auch ganz plötzlich kommen, und es geht dann von der Schulter hier am Hals und hier in diesen Kehlkopf da rein (weist auf den Ansatz des Musculus semispinalis) und dann geht es so hoch, im Kopf drinne, in dieser Höhe ungefähr, durch die Schläfe und endet hier am Kopf (weist halbkreisförmig nach vorne ziehend in das rechte Auge). Und zwischem diesen Punkt (weist in die Grube hinter dem Warzenfortsatz) und diesem Punkt (der Ecke des rechten Auges) gibt es manchmal, ich stell mir das vor, so wie Donner, wie so Blitze, (macht eine veranschaulichende, ruckhafte Bewegung mit der Hand), manchmal. Aber vor allen Dingen dieses Pochende, dieses Einseitige, und diese Verspannung im Nacken, das ist ganz, ganz fürchterlich. Ich träne, es tränt, ich kann es gar nicht sagen, das ist so schlimm, ich kann manchmal sogar nicht gehen, weil ich einfach.. mir ist übel, und es ist ganz schlimm. (...) Wenn ich Glück hab, meistens dauert das eineinhalb bis zwei Tage. Die einzelnen Attacken dauern Sekunden (macht eine Blitzbewegung), aber dieses Pochende, wenn ich zum Beispiel die Treppen hoch gehe: bomm, bomm, bomm.. Das ist ja etwas anderes, das ist dieses Kontinuierliche, aber dazwischen habe ich diese Schmerzen, diese Blitzschmerzen. Und das fängt wirklich hier an (weist an den oberen Nacken), ich muss auch oft meinen Mann bitten, er soll mir einfach den Nacken massieren. Und vor allen Dingen hier, in diesem Bereichen da (weist beidseits auf den Suboccipitalbereich), da drück ich manchmal auch selber, dann guck ich immer so nach hinten (streckt den Kopf), weil das ist ganz schlimm. Und so erlöst mich das (die Massage) ein bißchen, die Verspannungen gehen ein bißchen weg, aber klar, das kommt nachher wieder. Es gibt ja diese Stationen, sag ich immer, wenn ich diesen Kopfschmerz nicht mehr aushalten kann und, sag ich mal, zum Höhepunkt komme, dann muss ich mich hinlegen, dann ist aus, dann kann die Welt brennen, dann ist mir das egal. Ich leb damit seit über dreißig Jahren.
Der Kopfschmerz der Patientin hat zwei Komponenten: Ein dauerhaftes Verspannungsgefühl, das in ein streng rechtsseitiges, dauerndes Pochen mündet und wiederholte blitzartige Schmerzen, die halbkreisförmig aus der Nackenregion in das rechte Auge ziehen und dieses zum Tränen bringen. Solch ein Zustand dauert in der Regel ein bis zwei Tage. Wenn die Schmerzen kulminieren, muss sich die Patientin hinlegen. Der Leidensdruck ist ausgesprochen hoch.
Nach Therapie kommentierte die Patientin den Therapieerfolg folgendermaßen.
Ich fühle eine Befreiung, ein Wohlbefinden, aber vor allem eine Befreiung von Druck und Schmerzen. Und vor allem haben Sie die Schmerzen aufgesucht, die ich während 32, 33 Jahren fühlte. Es ist erstaunlich ... und klar, jetzt bin ein wenig aufgewühlt. Und was ich nicht verstehe, ist, dass ich diese Schmerzen so viele Jahre hatte und jetzt kommt ein Mensch wie Sie, der mich kaum kennt, Ihnen erkläre ich es kurz, und es ist eine Sache von 10 Minuten und Sie berühren genau die Punkte und den Weg der Schmerzen. Das ist so: Der Schmerz hat einen Weg: Er beginnt hier (zeigt Schulter rechts) und endet hier (zeigt ins rechte Auge) und Sie haben den Schmerz aufgegriffen, verfolgt und gelöscht. Es ist es praktisch ein Befreiung, es war sehr hart, ich bin wirklich aufgewühlt, weil ... Ich fühle mich, als ob ich an der Kathedrale von Santiago de Compostela angekommen wäre.... es war ein Weg, und ich bin angekommen und Sie haben mich von einem langjährigen Leiden befreit (aus dem Spanischen).
Die Erleichterung hatte bei obiger Patientin relativ lange vorgehalten, ungefähr drei Monate, bis die Kopfschmerzen wieder auftraten, weil die Kopfgelenke wieder in die Asymmetrie geraten waren. Um derartige Rückfälle zu verhindern, bedürfen chronische Kopfschmerzpatienten einer langfristigen therapeutischen Begleitung: Je länger die Kopfschmerz-Historie war, desto länger muss die kopfgelenktherapeutische Betreuung, die nicht zuletzt auf einer spontan entstehenden, persönlichen Beziehung fußt, dauern. Neben der notfallmäßigen Erreichbarkeit, wäre es von Vorteil, wenn der Patient in der Lage wäre, einen immer möglichen Rückfall in die Kopfgelenkasymmetrie selbst zu beheben: Die Selbstbehandlung ist Handlungswissen, das gleichsam zur Notfall-Ausstattung gehört. Schließlich ist es wichtig, dass der Patient über die speziellen anatomischen Details informiert ist, um einem zukünftigen Kopfschmerzgeschehen gegenüber nicht wehrlos ausgeliefert zu sein und in der Lage zu sein, die Symptome richtig zu deuten. Bei der Schilderung obiger Patientin leuchtet an vielen Stellen auf, wie hilflos und ausgeliefert sie sich gegenüber dem Kopfschmerzgeschehen wegen dem Mangel an Information gefühlt hatte. Dieses Ausgeliefertsein, diese Hilflosigkeit stellt eine große psychische Belastung dar, die es zu vermeiden gilt.