Ab Jahresmitte 2009, zuletzt im Juli 2012, wurde vom Autor wiederholt an Kopf-Hals-Präparaten der Anatomie Göttingen folgendes festgestellt:
Der linke hintere Digastricus-Muskelbauch kann entweder hinter dem Atlasfortsatz in seiner evolutionsbiologisch determinierten Nidationsstelle am äußeren Ende des Ansatzes des unteren querlaufenden kurzen Nackenmuskels (Musculus obliquus capitis inferior) bzw. in einer gegebenenfalls entstandenen Furche im hinteren Atlasbogen liegen oder vor dem Atlas-Querfortsatz herlaufen.
In der Regel sind alle Muskelverläufe zwar verschieblich, aber in deren Relation zueinander nicht veränderbar. Hier handelt es sich um eine einzigartige Muskelumlagerungsmöglichkeit, die auch in vivo erfolgen kann und die Grundlage der Kopfgelenktherapie bildet.
In der bisherigen anatomischen Literatur wurde die asymmetrische hintere Digastricus-Muskelführung nicht thematisiert. Zum Nachweis zwei ältere Darstellungen des hinteren Digastricus-Muskelverlaufs:
Damit wird deutlich, dass der anatomische Nachweis nicht so einfach sein müsste, da es sich um einen sehr komplexen Muskel handelt, der aufgrund seiner Qualität und seines Verlaufs mittels anatomischer Sektion nur schwer darstellbar sein dürfte. Man muss sich dabei stets dessen bewusst sein, dass die Kopfgelenkasymmetrie ein hoch reversibles Phänomen ist: Eine asymmetrische Digastricus-Muskelführung kann sich post mortem sehr leicht symmetrisieren. Dies ist wahrscheinlich bei anatomischen Präparaten die Regel. Wenn schon beim lebenden Menschen die Digastricus-Muskelführung so leicht umkehrbar ist, muss dies bei entsprechender Manipulation auch beim Verstorbenen der Fall sein. Nicht umsonst hat die makroanatomische Forschung bis dato von der asymmetrischen Digastricus-Muskelführung keine Notiz nehmen können. Es bedurfte des hier vorliegenden, ausreichenden Fundus an dokumentierter Kasuisitk, um das Phänomen überhaupt zu bemerken. Erst die Entdeckung der Reversibiltität der Digastricus-Muskelführung am Lebenden hatte nämlich die Frage nach dem anatomischen Substrat und seiner Darstellbarkeit aufgeworfen.
Die hohe Reversibilität der Kopfgelenkasymmetrie hat dazu geführt, dass letztere seit Jahrhunderten an anatomischen Präparaten nicht entdeckt werden konnte. Vielmehr führte allein die aktuelle Klinik zum Postulat der asymmetrischen Digastricus-Muskelführung. In diesem Zusammenhang wurde wiederholt an anatomischen Kopf-Hals-Präparaten festgestellt, dass der hintere Digastricus-Muskel ausschließlich links um den Atlasfortsatz herumklappbar ist; außerdem wurden in Einzelfällen Verlaufsspuren am linken hinteren Atlasbogen fest gestellt.